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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

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Fabian oder Der Gang vor die Hunde

von Erich Kästner

Stadttheater Gießen. Premiere 18.01.2025

Inszenierung: Jenke Nordalm

Bühne und Kostüme: Hannah Landes

Musikalische Leitung: Ulf Steinhauer

Live-Musik: Marcel Rudert 

Mit: Stephan Hirschpointner, Ben Janssen, Levent Kelleli, Roman Kurtz, Anne-Elise Minetti, Nils Eric Müller, Nina Plagens, Carolin Weber

 

Pressestimmen 

Diese Inszenierung erinnert an die satirisch-überzeichneten Bilder von George Grosz oder Otto Dix - und zitiert mit dem Bühnenbild zugleich das ultimativ reduzierte "Schwarze Quadrat" von Sewerinowitsch Malewitsch. Regisseurin Jenke Nordalm bringt in ihrer Version von "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" ohnehin jede Menge zusammen: Weimarer Republik und Gegenwärtiges, Liebe und Verrat, Moral und Exstase, Gut und Böse. Und bricht damit Erich Kästners Roman von 1931 auf das Wesentliche herunter. Hier gibt es weniger ""Golden-Twenties"-Atmosphäre à la "Babylon Berlin", sondern ein schonungsloses Bloßstellen im Stil der Neuen Sachlichkeit. Der "nüchterne" Blick, den Kästners Antiheld Fabian auf die Menschen wirft, ist prägend. Nordalm - spätestens seit "Der Staat gegen Fritz Bauer" am Stadttheater als exzellente Vermittlerin des Zeitgeists im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts geschätzt - erweist sich damit als wahre "Kästner-Freundin". Sie stellt seinen vor knapp 100 Jahren vorn den Nazis als "entartet" ins Feuer geworfenen Text in den Vordergrund und verzichtet auf politische Belehrung mit dem Holzhammer angesichts der Parallelentwicklungen von Heute. Wie Kästner im Roman hält sie uns einen "Zerrspiegel" vor, der zeitübergreifend vor moralischem und gesellschaftlichem Verfall warnt.

Mal wird die Schräge zur Kabarett-Bühne, in der Nachtschwärmer ihren trostlosen Alltag am Vorabend von Hitlers Machtergreifung vergessen wollen, dann wieder zum Fotoatelier des "Barons", in dem Frauen eigentlich Schutz finden sollen. Nur die ebenfalls von Hannah Landes entworfenen Kostüme transportieren Opulenz und Zeitkolorit. Lasziv drapierte Federboas, der skurril posierende Abendakt mit Silberbemalung, Männer in sexy Abendkleidern, Sexpartner, die Kästners Bonmot "Die Liebe ist ein Zeitvertreib, man nimmt dazu den Unterleib" hemmungslos wörtlich nehmen - hier wird das so vergnügungssüchtige wie fatalistische Lebensgefühl im Berlin der 1920er Jahre vorgeführt. Die Folgen sind bekannt. Dieses Wissen schwingt zumindest mit.

Ben Janssen spielt den durch Bordelle und Betten taumelnden Moralisten Fabian. Er ist dabei stets eher passiver Beobachter des Untergangs. Resignierend ist er ein ziemlich sachlicher Antiheld - und Janssen spielt ihn mit betont harmloser Attitüde. Anders als sein Freund Labude ist Fabian kein Revolutionär mit Sendungsbewusstsein, sondern eher ein moralisch integrer Zuschauer und lakonischer Kommentator.

Gießener Allgemeine, 19. Januar 25 

 

Die angeblich "goldenen" 1920er Jahre sind derzeit wieder in aller Munde. Zum einen wegen der etwa in der Erfolgsserie "Babylon Berlin" zu bestaunenden Modernität und Lebenslust, mit der sich die Stadt damals den Status einer Weltmetropole erfrieret. Zum anderen, wegen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirren, die in die Katastrophe von 1933 mündeten. Wer pessimistisch veranlagt ist, kann darin Parallelen zum ebenfalls an der Schwelle zu einer neuen Epoche stehenden Heute ziehen. Theaterregisseurin Jenke Nordalm wählt diese Variante jedoch nicht. Ihre Inszenierung lässt ein schillerndes Gesellschaftspanorama entstehen, in dem der Titelheld als aufrechter Außenseiter einen Weg sucht, um sich zwischen allen Lagern zu behaupten. Um das wilde Berlin der 1920er abzubilden, brauchen Regisseurin Nordalm und ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Hannah Landes nichts weiter als eine breite und sanft nach hinten ansteigende Rampe, die in einem von Neonlicht eingerahmten Torbogen mündet.

Hier gibt es in den nächsten knappen zweieinhalb Stunden Spielzeit viel nackte Haut, viele Küsse und manche Kopulation zu sehen, mit denen das frivole Laisser-faire der Zeit illustriert wird. Hinzu kommen zahlreiche Gesangs- und live begleitete Musikeinlagen, die dem Bühnentreiben einen steten Rhythmus verleihen. So werden viele Romanthemen in knappen Szenen angerissen, um die Atmosphäre und den Geist der späten 1920er in Theaterbilder zu fassen. Die Straßenkämpfe und die sexuelle Freizügigkeit, die Massenarbeitslosigkeit und die Revuegirls, die Kriegskrüppel und der Büroalltag, die Anständigkeit und die Unanständigkeit. All das wird vom Ensemble in schnell wechselnden Konstellationen und Kostümen angetippt und immer wieder wunderbar in Szene gesetzt.

Dazwischen bewegt sich Fabian, den Ben Janssen als klugen, gewitzten und integren Mann zeigt, der die Welt durch eine Art Halbdistanz oder wie "durch die Scheibe eines Schaufensters" beobachtet, wie es im Stück heißt. Er entdeckt in einigen intensiven, leisen Szenen schließlich doch noch die Liebe. Doch "die Ziellosigkeit der Zeit reicht fürs Vergnügen, nicht für die Liebe", muss Fabian erkennen. Und so nimmt es mit ihm ein trauriges Ende -während Regisseurin Nordalm in diesem gelungenen Schauspiel alles, was nun kommen wird, in einem Epilog zusammenfasst. Dafür braucht es dann nicht mehr, als eine Tonspur vom Band und den Klang soldatischer Stiefel.

Gießener Anzeiger, 19. Januar 25