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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

Das Ministerium

von Kai Schubert

Wuppertaler Bühnen. Uraufführung 12.01.2012

Inszenierung Jenke Nordalm

Bühne und Kostüm Birgit Stoessel

Mit: Thomas Braus, Juliane Pempelfort, Anne-Catherine Studer, Julia Wolff

 

Trailer  

 

Pressestimmen

Im kleinen Schauspielhaus steigt zu den ersten Takten aus Wagners "Rheingold" blauer Nebel auf. Eine Stimme ruft aus: "Ja, unser Land ist schön!" Drei Frauen und ein Mann treten auf, in lustigen blauen Baumwolloveralls, und zwängen sich in vier enge Arbeits- und Wohnzellen. Sie sind der kasernierte Thinktank des "Ministeriums für Integration". Ihre Hauptaufgabe besteht eigentlich im Abfassen von Statements und Verordnungen mit möglichst kompletter Fettnapfvermeidung. Jetzt hat ihr Minister gewechselt und der Neue verlangt nichts weniger als die abstrakte "Lösung" des unendlich vielfältigen Problems. Schnell entspinnt sich ein ironisch verspieltes, aber nie versponnenes vierköpfiges Ringen um den Umgang mit Migration und Assimilation, mit allem, was heute zu einem derartigen Prozess gehört: Angst vor Verantwortung und Entscheidungen, ichbezogenheit und die Sucht nach Selbstverwirklichung, Sehnsucht nach "echter Kommunikation", Angst genau davor, Emotionalisierung durch visuelle Medien und die Flucht in virtuelle Utopien... Kai Schubert, mittlerweile fast eine Art Hausautor an den Wuppertaler Bühnen, verlinkt das sensible Thema klug, und oft beißend witzig, mit der allgemeinen Sinn- und Gesellschaftskrise. Dabei weist er die Verantwortung nicht nur "denen da oben" zu, sondern traut sich, auch dem "normalen" Staatsbürger wortgewaltig und charmant den Spiegel vorzuhalten... Über weite Strecken führen Juliane Pempelfort, Anne-Cathrine Studer, Julia Wolff und Thomas Braus die enthusiastische Orientierungslosigkeit ihrer Figuren variantenreich und bezwingend vor. Ihre locker, aber zielsicher gefügten Szenen laufen mehrfach auf Monologe zu, denen die ansonsten metiersicher und rationell inszenierende Jenke Nordalm den erspielten doppelten Boden entzieht, um den Appellcharakter zu betonen, ein Verfahren, das dem Text nicht unbedingt angemessen scheint, seine Wirkung aber kaum schmälert.

Die Deutsche Bühne 14. Januar 12

 

Die Mitarbeiter des Ministeriums für Migration sehen aus wie Raumfahrer, die nicht wissen, wohin die Reise geht, welcher Kurs eingeschlagen werden muss und wer das Steuer an sich reißen sollte. Mit anderen Worten: "Das Ministerium" ... spielt mit den Ängsten von heute und sucht Lösungen für morgen. Dabei ahnt das Publikum früh, dass das (nicht unsympathische) Quartett, das die Integrationsfrage ein für allemal lösen möchte, zum Scheitern verurteilt ist... Kein Wunder: der knapp bemessene Handlungsradius der Zweckgemeinschaft erinnert an Gefängniszellen. Vier weiß-blaue Raummodule bleiben dem "Fliegenden Integrationskommando" zum Leben - sie sind Schlaf-, Wohn- und Büroraum zugleich. Die mobilen Module können die Ministeriums-Mitarbeiter drehen und wenden, wie sie wollen: Ein Patentkonzept, um bei Migranten Punkte zu sammeln, dem deutschen Volk gleichzeitig die Angst vor dem Fremden, der Endzeitstimmung und dem Kontrollverlust zu nehmen, finden sie nicht... das Thema Migration, das Schubert und Nordalm bereits zum dritten Mal in Wuppertal beleuchten, ist wichtig, die Rollen sind bestens besetzt, der Text ist witzig und spritzig - an vielen Stellen. Im Großen und Ganzen erfordert er vom Publikum jedoch volle Konzentration. 75 Minuten können deshalb lang sein - zumal die Theater-Reise immer wieder in Groteske abdriftet, mal reale Bezüge hat, dann wieder absurde Züge annimmt.

Westdeutsche Zeitung 13. Januar 12 

 

Der Plot ist so zugespitzt, dass er schon fast wieder real wirkt: die vier Integrationsbürokraten auf der Bühne haben eine Veröffentlichung ihres Hauses verbockt, in deren Folge der Minister zurücktreten muss. Umgehend wird ein neuer ernannt, der sogleich verspricht, in nur sieben Tagen ein allumfassendes Integrationskonzept vorzulegen. Die vier Untergebenen bekommen diesen Auftrag aber nicht von ihm direkt, sondern lesen ihn - geschickt inszeniert - aus einer Mischung ministerialer Redeschnipsel in den Medien und heimlich abgehörtem Behördenfunk heraus. Der Mechanismus dahinter ist aus dem Dritten Reich bekannt: durch Rundfunkreden der Staatsführung und den Duktus offizieller Verlautbarungen sahen sich Funktionsträger auf allen Ebenen ganz ohne eine direkte Anweisung veranlasst, auch in ihrem Bereich immer "dem Führer entgegen zu arbeiten"... Autor Kai Schubert hat seine Protagonisten als Archetypen der Verwaltung angelegt: die konkret vor Ort agierende Tyche, die mehr auf moderne Verkäufe setzende Facebook-Adeptin Moira und die zu Grundsatzpapieren neigende Stanford-Absolventin Ananke. Diese Namen gehören sowohl zu Schicksalsgöttinnen der griechischen Mythologie als auch zu drei realen Himmelskörpern mit völlig verschiedenen Flugbahnen. Passend dazu kommen die Damen auf keinen gemeinsamen Nenner, während Arbeitstag um Arbeitstag verstreicht. Und ebenso passend heißt der einzige Mann im Quartett Hal, wie der allwissende Großrechner in Stanley Kubricks Jahrhundertfilm "2001-Odyssee im Weltraum". Hal hat die Integrationsproblematik voll innovativ in ein Computerspiel mit dem beziehungsreichen Titel "Building Babylon" gepackt. Angelehnt an Vorbilder wie "Die Siedler von Catan" oder "Civilization" müssen die Spieler einen hoch entwickelten Vielvölkerstaat steuern - in der zentralen Szene scheitern Hals Kolleginnen, die drei Schicksalsgöttinnen, am fünften Tag ihrer Mission kläglich bei dem Versuch, in dem "Massive Multi Role Player Game" durch einzelne staatliche Maßnahmen die Kontrolle über das Chaos im virtuellen Einwanderungsland zu erlangen. Da der Schöpfer von Himmel, Erde und Beamtenrecht für die Tage sechs und sieben aber bekanntlich Ruhe vorschreibt, ist die vom Minister gesetzte Wochenfrist, schwupp auch schon rum - so ergebnislos wie alle sieben Wochen, sieben Monate oder sieben Jahre zuvor. Kai Schuberts Stück hat zwar trotz seiner 75 Minuten Kürze ein paar dramat(urg)ische Schwächen, die seine größte Qualität aber völlig vergessen lässt: die Sprache. Wer je mit dem Innenleben öffentlicher Verwaltungen, ob kommunale Behörden, Ministerien oder auch öffentlich-rechtlichen Anstalten, zu tun hatte, kommt angesichts der Schubertschen Kunst aus dem Staunen kaum raus. Er hat nicht einfach nur die bekannten Phrasen des öffentlichen Politikersprechs mit Termini kombiniert, die zu recht als "Integrationsprosa" gebrandmarkt werden, sondern aus der Struktur dieser Sprache auch eine Art geistigen Boden bereitet, auf dem sich seine Figuren schließlich sogar in privatesten Fragen bewegen: Alles wird erst weitestgehend intellektualisiert und pseudo-wissenschaftlich von verschiedenen Seiten betrachtet, um am Ende doch nur nach ganz persönlichen Glaubenssätzen oder schlicht nach Geschmack beurteilt zu werden. Die Realität? Interessiert niemanden wirklich; auch nicht den neuen Chef: "Der Mann ist ein Ministerperformer", lässt Schubert seine Moira am Ende sagen, "für Realität hat der keine Zeit". 

LAB.tv 24. Januar 12